KUNST EVENTS

VENEDIG - GIGANTONOMIE UND PINGUINE IN DER SERENISSIMA

Dorothee Achenbach reiste für einige Tage nach Venedig und ließ sich von der Biennale und von der Lagunenstadt inspirieren.

Autorin: Dr. Dorothee Achenbach

Detail der Skulptur «Demon and Bawl» des britischen Künstlers Damien Hirst in der Ausstellung «Treasures from the Wreck of the Unbelievable» (09.04.2017 bis 03.12.2017) im Palazzo Grassi und der Punta della Dogana in Venedig (Italien). Foto: Sabine Glaubitz/dpa

Gelbe und weiße Lichter tanzen über das Wasser, Boote gleiten still durch die im Dunkeln glitzernden Wellen. Nur noch wenige Menschen bummeln durch die Schatten leerer Gassen. Venedig am späten Abend. Es ist ruhig. Erst jetzt entfaltet die Stadt ihren ganzen Zauber. Fast alle Restaurants und Cafés sind geschlossen, die letzten Takte der Musikkapellen an der Piazza San Marco sind verklungen und die Touristen sind längst mit müde gelaufenen Beinen zu Bett gegangen. Majestätisch thronen die großen Palazzi im blassen Schein der Kugellampen am großen Kanal, mit stolzer Gelassenheit zeigen sie ihre filigranen Verzierungen und schweigen vornehm über das, was sie in den letzten Jahrhunderten gesehen haben. Sanft biegen sich die Brücken und erholen sich von der Menschenbürde des Tages. Alle paar Meter weisen hohe Kirchenportale daraufhin, dass das Irdische trotz all unserer Bemühungen nichts zählt. Schmale Gassen zwischen hohen, schlichten Häusern hallen wider von den wenigen Schritten. Jetzt, in der Stille der Nacht, kann man sie spüren: Die tiefe, durch kein Geschubse und Gedränge zu erschütternde Schönheit dieser Stadt, die auf einem Element erbaut wurde, das dafür nicht geschaffen ist: Auf sumpfigem Wasser. Doch sie existiert auf 118 Inseln seit über 1000 Jahren und sie wird noch bewundert und geliebt werden, wenn es uns längst nicht mehr gibt. Ist es das, was uns fasziniert? Dieses vornehmlich Fragile, Vergängliche, Schwebende? Die Tatsache, dass auf zig Millionen Eichenpfählen etwas erbaut wurde, das zu einer der mächtigsten und reichsten Metropolen der Welt wurde und in seiner Ansammlung prachtvollster Architektur und in seiner Fülle hervorragender Malerei inmitten flirrender Meeresluft für viele nicht mehr und nicht weniger ist, als die schönste Stadt der Welt? Doch wir sind nicht hier, um dem nächtlichen Zauber der Serenissima zu verfallen, sondern um uns bis an den Rand der mentalen Erschöpfung einem weiteren Genuss hinzugeben: Es ist Biennale, eine der weltweit größten Schauen zeitgenössischer Kunst. Sie fand erstmals 1894 statt und ist damit die älteste internationale Kunstausstellung – sozusagen die Grande Dame unter den Mammut-Shows. 

Besucher vor dem Österreich Pavillon mit einer Installation von Erwin Wurm, EXPA Pictures © 2017, PhotoCredit: EXPA/ Erwin Scheriau

In der Eröffnungswoche ist es noch voller als sonst. Menschenschlangen bilden sich an den Haltepunkten der Wasserbusse, der Taxen und an den Eingängen der großen Ausstellungen. Angesagte Restaurants wie „Da Ivo“, „Il Ridotto“ oder „La Madonna“ sind ausgebucht. Doch reist man nur einen Tag nach dem meet & greet - Rummel der Openings an, kann man es deutlich entspannter angehen: Die echten und nicht ganz so echten VIP ́s der Kunstszene sind fast alle abgereist. Selbst in den wichtigsten Schauen trifft man nur noch wenige Besucher. Herrlich! Das Herzstück der Biennale sind die Giardini, die man bequem mit den Vaporetti Richtung Lido erreichen kann. Die in einem Park verteilten 28 Pavillons der Nationen, die sich um den großen, zentralen Pavillon gruppieren, erbummelt man sich im Schatten der Bäume – nicht alle muss man sich ansehen. Am Weg rechter Hand präsentiert Grisha Bruskin im russischen Pavillon unter dem Titel „Theatrum orbis“ eine vielschichtige, ideologie-kritische Installation in der Ästhetik von Fritz Langs „Metropolis“. Der britische Pavillon zeigt Monströses mit den sich bis unters Dach fressenden, bunten Gips-Skulpturen von Phyllida Barlow. Schwerere Kost bietet der deutsche, von Susanne Pfeffer kuratierte Pavillon von Anne Imhof. In den von Dobermännern bewachten, 1938 in martialischer Nazi-Architektur umgebauten Steinkoloss ist ein doppelter Boden aus Glas eingebaut. Darauf und darunter agieren Menschen in einer mehrstündigen Performance zu eindringlichen musikalischen Klängen. Sie tanzen und ringen miteinander, klagen stumm, schauen den Besucher intensiv an, legen Feuer, werden mit Wasser begossen, sitzen regungslos und starren vor sich hin. Das klingt befremdlich, ist jedoch ungeheuer berührend: Menschliche Gefühle wie Angst, Verlorenheit, Verzweiflung und Bedrohung werden auf erschütternde Weise zum Ausdruck gebracht. Die Auszeichnung mit dem Goldenen Löwen als bester Pavillon erfolgte völlig zu recht. Doch Achtung: die Performance findet nicht immer statt – Informationen auf der Webseite des deutschen Pavillons beachten. Der zweite Teil der Länderpräsentationen findet ein paar Hundert Meter entfernt in den an sich schon beeindruckenden, gigantischen Hallen der Arsenale statt, den altehrwürdigen Schiffswerften. Viel Videokunst ist zu sehen und viel Textiles – gestrickt, geknüpft, gewebt. Der Altmeister und quasi Erfinder stofflicher Kunst Franz Erhard Walther (Jahrgang ́39) wird mit der Präsentation riesiger Ausgaben seiner „anziehbaren“ Objekte geehrt – und erhielt den Goldenen Löwen als bester Künstler. Zum Programm der Biennale gehören noch 23 offizielle Nebenausstellungen – und unzählige mehr in Kirchen, Palazzi, Ladenlokalen, Wohnungen. Großartig ist die vom Berliner Museumsdirektor Udo Kittelmann kuratierte Schau in der Prada-Foundation im Palazzo Ca ́ Corner della Regina. 30 Videoarbeiten von Alexander Kluge und drei von Thomas Demand sind über drei Stockwerke in Szenerien der Bühnenbildnerin Anna Viebrock integriert. 

Foto: Felix Hörhager/dpa

Ein Muss ist die Doppelausstellung von Damien Hirst. Die Geister scheiden sich, ob das große Kunst, Kitsch, Ironie, gigantomanie oder gar Veräppelung des Kunstbetriebes ist. Aber ansehen sollte man sie sich. Die sich über zehn Jahre hinziehende Produktion dürfte ein Vermögen im zweistelligen Millionenbereich gekostet haben: Das englische Enfant terrible der Kunstszene hat eine komplett imaginäre Welt um ein in der Antike gesunkenes Schiff – die „Unbelievable“ - erschaffen. Es passt, dass die Shows in der spektakulären Architektur der Punta della Dogana und im Palazzo Grassi situiert sind – den venezianischen Spielwiesen des kunstbesessenen Milliardärs, Luxusmarken - Tycoons und Christies - Eigentümer François Pinault. Er gilt als der größte Sammler moderner und zeitgenössischer Kunst weltweit. Sein ewiger Gegenspieler Bernard Arnault von LVMH wird sich die Augen gerieben haben, falls er die fast 20 Meter hohe Hirst-Skulptur im Atrium des Palazzo Grassi gesehen hat. Immerhin wird im Louis Vuitton - Laden unweit von San Marco ein kleine, feine Ausstellung über Pierre Huyghes Antarktis - Expedition gezeigt. Man sollte dort ganz nach oben schauen – von der Decke lugt keck ein Albino-Pinguin. Wo wir schon bei Luxusmarken sind: Ein unvergessliches Erlebnis ist der Besuch in der Fondaco die Tedeschi, der ehemaligen Niederlassung der reichsdeutschen Händler. Fast 150 Jahre war in dem 1508 errichteten Palast am Canal Grande neben der Rialto-Brücke die Hauptpost von Venedig untergebracht. 2016 eröffnete nach einem Umbau durch Rem Koolhaas ein Luxuskaufhaus der Gruppe LVMH, das in Gestaltung und Sortiment seinesgleichen sucht. Im überdachten Innenhof ist eine der schönsten Bars der Stadt entstanden – doch das wahre Juwel ist die Dachterrasse: Unbedingt hochfahren und den schönst möglichen Panoramablick auf die Lagunenstadt genießen. Er reicht bis zu den Alpen und ist atemberaubend. Venedig zu besuchen, ohne ihren größten Heroen Referenz zu erweisen, wäre ein Sakrileg. Also sollte man sich für den Schluss einen Besuch in der Accademia aufheben: Erst sieht man sich dort die grandiose Schau des 1980 verstorbenen amerikanischen Malers Philip Guston an, dann verbeugt man sich vor Bellini, Tizian, Carpaccio, Giorgione und Veronese. Ohne das Licht in ihren Gemälden wäre Venedig nicht die Serenissima. 

VENEDIG TIPPS

Dorothee Achenbach emphielt die Bar und Aussichtsterrasse Fondaco dei Tedeschi, Calle del Fontego, Rialto Brücke. Hervorragend isst man ebenfalls in der Osteria alle Testiere, Calle del Mondo Novo. Hostaria Da Franz bietet Fischgerichte und man sitzt abseits der Touristenströme direkt an einem Kanal, Fondamente San Giuseppe 754. Typisch italienisch urtümlich ist die Trattoria „La Madonna“, Calle delle Madonna 594, in der Nähe der Rialtobrücke. Für einen Apérol mit Traumblick bietet sich die Bar Paradiso an – sie liegt gleich am Eingang der Biennale-Giardini. Ein Ausflug zum Lido mit dem Vaporetto lohnt sich – raus aus dem Trubel und am Meer spazieren gehen, einen Drink an der Promenade nehmen und wieder zurück in die Stadt.